veröffentlicht im Juni 2010
in der Fachzeitschrift für Autorinnen und Autoren „Federwelt“ Nr. 82

MÜNCHNER MENÜ-WETTBEWERB
& FEDERWELT-JURYPREIS  –
eine Münchner Schreibgruppe beteiligt sich

Diana Hillebrand ist Leiterin der Münchner „WortWerkstatt SCHREIBundWEISE“. Mit ihrem Fortgeschrittenenkurs bereitete sie sich mehrere Wochen lang auf den Münchner Menü-Wettbewerb vor, der gemeinsam mit dem Federwelt-Jurypreis zweimal im Jahr ausgeschrieben wird. Der Erfolg kann sich sehen lassen: Einer der Teilnehmer landete unter den letzten vier! Das Rezept der Gruppe: hart arbeiten und dabei Spaß haben.


Heute schon geschrieben?

Schon lange bevor ich mit der WortWerkstatt SCHREIBundWEISE begann, hatte ich eine vage Vorstellung davon, was ich wollte. Ich wollte einen kreativen Raum schaffen, in dem Schreiben zur Selbstverständlichkeit wird. Einen Raum, in dem Menschen an einem Tisch sitzen, schreiben, diskutieren und lesen. Mit theoretischen Einheiten und Beispielen aus der Literatur wollte ich sie inspirieren und ihre Kreativität beflügeln. Den Kern sollten praktische Schreibübungen bilden, die ich mir passend zum Thema ausdenken würde. Ja, ich träumte von einer besseren Welt, in der die Begegnung an erster Stelle steht: weg vom Fernseher, hin zum persönlichen Austausch!

Man lachte, hielt mich für verrückt und dachte an ein schönes Hobby. Ich blieb hartnäckig, dachte an einen Hauptberuf und meinte es ernst. Denn ein innerer Sog hatte mich erfasst: Ich wollte vom Schreiben leben.

Mein Traum ist wahr geworden! Heute kann ich auf einige Veröffentlichungen, Lesungen und Radioproduktionen zurückblicken. Seit 2006 gibt es die WortWerkstatt SCHREIBundWEISE. Kurze Zeit später rief ich einen monatlichen Literaturtreff ins Leben, den ich bis heute leite.

Von Beginn an habe ich erklärt, um Schreiben zu lernen, müsse man vor allem – schreiben. Irgendwo im Leben damit anfangen und sehen, wohin es führt. Ich bereite Übungen vor und freue mich, wenn erwachsene Menschen mit glühenden Wangen schreibend beieinandersitzen und die Welt um sich herum vergessen.

Meine Teilnehmer lieben es, Wettbewerbsthemen zu bearbeiten. Es gibt ein Ziel, thematisch und zeitlich eine Vorgabe – eine hervorragende Übung! Darum habe ich manchmal Wettbewerbe im Gepäck, an denen sich versuchen kann, wer möchte.

So war es auch beim letzten Fortgeschrittenenkurs. Das Thema des Münchner Menü-Wettbewerbs lautete: München. Sofort diskutierten alle darüber, WAS München ausmacht und WIE sie es erleben. Spannend!

Sieben Wochen haben wir gemeinsam an dem Thema gearbeitet. Die Texte wurden immer wieder vorgelesen, die Gruppe gab wichtige Hinweise und Anregungen. Und die Teilnehmer waren fantastisch! Sie haben gearbeitet und gelitten, wenn ein schöner Satz oder ein klingendes Wort gestrichen werden musste, weil es dem Text zugute kam. Am Ende wurde aus ungeputztem Gemüse vom Acker (Runkelrüben, Lauch, Kartoffeln, ein wenig hiervon und davon) ein delikates Mahl, das offenbar nicht nur uns schmeckte: Fünf der Texte kamen in die engere Wahl von immerhin 500 Wettbewerbseinsendungen. Und einer – Werner Duck – stand im Finale auf der Bühne!

Ich habe meine Kursteilnehmer gefragt, wie sie die Zeit vor dem Wettbewerb erlebt haben. Hier ihre Antworten:


Martina, 36 Jahre: „Die Geburt“

Endlich! Eine neue Herausforderung, eine Möglichkeit, aus meinen Fingern eine Geschichte zu gebären, die darauf wartet, gelesen zu werden. Tage und Nächte gehe ich damit schwanger, verflechte den roten Faden. Ich freue mich auf die Niederkunft, auf meine Story – mein Baby.

Diese Phase gehört zu den fünf Verhaltensweisen, die ich während des Schreibens für einen Wettbewerb an mir beobachtet habe. Ich nenne sie nicht nur die erste Phase, ich nenne sie „Die Zeugung“.

Nach Überprüfen des Einsendedatums wird mein Tippeifer automatisch gebremst. Ich bin in der zweiten Stufe meines Verhaltens, der „Schlendrianphase“. Zu dieser gesellt sich dann die gefährliche „Hinschmeißphase“. Beide laufen Hand in Hand und gefährden meine Schwangerschaft. Schaffe ich es, Gedanken wie „da nehmen so viele teil; die sind bestimmt besser als ich“ ohne PDA zu betäuben? Schon kriecht die vierte Verhaltensweise heran. Ich werde von Kreativität überspült. Eine völlig neue Story ist bereit, die leeren Blätter dieser Welt zu füllen. Scheiße nur, dass ich in Phase zwei so getrödelt habe!

In der Regel endet jede meiner Schwangerschaften mit einer Geburt: Das Kind kommt raus, egal wie.

Jetzt braucht es nur noch einen Namen!


Bhavya, 60 Jahre: „Zwölfuhrläuten“

Für eine angehende Bestsellerautorin bin ich schon ganz schön professionell. Kaum sitze ich vor einem leeren Blatt, habe ich eine Schreibhemmung. Und auch mein Schreibplatz ist echt cool. Der Papierkorb voller zerknüllter Seiten, die Bleistifte angekaut. Aber dann habe ich die Schnauze voll. Endlich eine vollgeschriebene Seite, doch aus meiner geistreichen Idee wird nur eine öde Story. Also melde ich mich bei Dianas Schreibwerkstatt an für einen Kurs von sechs Abenden. Sechs Abende sind schnell vorbei, denke ich, dann kann ich es. Mein Gott! Hätte ich gewusst, wie viele Erzählperspektiven es gibt, was ein Spannungsbogen ist und wie man die falschen Freunde der Füllwörter meidet, stünde mein Buch schon längst in den Regalen! Die sechs Abende reichten bei Weitem nicht aus, und so sitze ich immer noch in ihren Fortgeschrittenenkursen, plage mich mit Vorund Rückblenden, auktorialer Erzählweise und logischem Handlungsaufbau.

Das Thema „München“ kam mir gerade recht, denn mir stößt es schon lange auf, wie sich München verändert. Immer mehr Zugereiste, die mit ihren Latte-Gesichtern in den Starbucks, San Francisco Coffee Bars oder sonstigen Togo-Etablissements das parfümierte Zeug schlürfen.

Oder die Wichtigen, die, einen Pappbecher oder ein labbriges Wrap in der Hand, Handy am Ohr, die Gehsteige bevölkern.

Doch dann dachte ich, warum immer nur schimpfen? München ist schön. Welche Stadt hat so einen tollen Oberbürgermeister, der mit seinen literarischen Kostbarkeiten die Bürger erfreut? Und der, mit einem wendigen Hals gesegnet, immer das Richtige sagt, auch wenn’s das Gegenteil ist? Darüber wollte ich schreiben. Und über unsere kulinarischen Highlights, die Weißwurst, Milzwurst und Blutwurst.

Laut Wettbewerbsvorgabe sollte die Geschichte mindestens 11000 Zeichen ohne Leerzeichen umfassen. Blöd, nach 8000 Zeichen war meine Geschichte fertig. Also strecken, einfügen, noch eine Episode. Zählen. 12000 Zeichen. Geschafft! Eine super Geschichte! Ich brannte darauf, sie im Kurs vorzulesen.

Ich las. Der frenetische Beifall blieb aus. Dann die Kritik. Diana, einfühlsam, sie kennt die empfindsame Autorenseele, lobte zuerst die gelungenen Passagen. Doch dann sauste das Damoklesschwert der Füllwörter auf mich herab.

„Zu viele Füllwörter! Die musst du streichen!“

Doch wie sollte ich meinen Text lebendig gestalten, ohne die Zwars, Eigentlichs oder Irgendwies?

Diana: „Und weg mit den Klischees!“

Mein Gott! Wie Personen beschreiben, ohne „die adrette Gestalt“, „das herrliche Kleid“ oder „die ausdrucksvollen Augen“?

Diana: „Deine Geschichte ist gut, aber du solltest sie überarbeiten.“

Wieder an den Schreibtisch. Überarbeiten, ich hasse es! Spätestens nach dreimal Durchlesen hängt mir die Geschichte zum Hals raus. Aber entschlossen, den Text dieses Mal nicht in die Ecke zu schmeißen – schließlich wollte ich ihn ja einreichen –, durchforstete ich ihn nach Füllwörtern, strich, was das Zeug hielt. Dann der Schock: Beim Zählen der Zeichen war meine Geschichte um ein Drittel geschrumpft!

Was hatte Diana gesagt? „Wenn euch nichts einfällt, clustert oder schreibt einfach drauflos. Also clusterte ich wie eine Wilde, brachte Schwachsinniges zu Papier. Kaum zu glauben, in dem Kauderwelsch tauchte plötzlich eine Idee auf. War gar nicht schlecht. Das Zwölfuhrläuten auf dem Marienplatz. Das baute ich in meine Geschichte ein, vermied jedes unnötige Adjektiv, Adverb oder sonstiges Wortgesindel. Noch einmal die Zählfunktion. Geschafft! 11500 Zeichen.

Dann im Kurs vorlesen. Freude. Beifall. Nach ein paar kleinen Korrekturen, einigen stilistischen Verbesserungen schickte ich mein „Zwölfuhrläuten“ ein. Ich fühlte mich wie nach einer Entbindung. Warten auf die Entscheidung. Dann die Meldung: Ich war in der Vorauswahl!

Wäre Diana jetzt da gewesen, hätte ich ihr einen dicken Kuss gegeben.


Hannelore, 61 Jahre: „Bombenstimmung“

Tatü Tata, Tatü Tata … Es reisst mich fast vom Hocker, so laut! Ende September, wir sitzen im Kursraum.

Oktoberfestzeit. Die Sirenen der Krankenwägen heulen auf.

Die Idee für meine Kurzgeschichte ist geboren. Da kann man was draus machen. So geht es mir durch den Kopf.

Meine eigenen Ängste vor Anschlägen spielen dabei eine große Rolle und wie ich damit fertig werde. Reine Selbsttherapie. Im Zusammenhang mit der Unzufriedenheit am Arbeitsplatz sprudeln dann schon ein paar Gedanken.

Ich denke mir, nur nicht zu prosaisch schreiben, kurz und knackig, und doch muss die Angst rüberkommen.

Ich selbst überblättere beim Lesen auch die ewigen Beschreibungen, Action ist angesagt. Es ist eine schnelle Zeit, in der wir leben. Kein Platz für lange Landschafts- oder Situationsbeschreibungen. In zwei Sätzen muss der Leser den Typ erkannt haben. Dies habe ich in meiner Kurzgeschichte „Bombenstimmung“ umgesetzt. So ist auch meine Welt, kurzlebig. Buch oder Geschichte lesen und weg damit, die nächste spannende Story wartet bereits. Meine Hauptperson wankt zwischen Angst, Selbstmitleid und einem Schuss Ironie.

Sehr hilfreich sind auch die Ideen der Kollegen im Literaturkurs. Der Titel war die Idee einer Kursteilnehmerin. Ihr Einfall war genial. So erhält man Inspiration. Manchmal reicht eine kurze Bemerkung, dann sprudelt die eigene Fantasie. Letztendlich ist die anstrengende Arbeit das Schleifen und Feilen des Textes.

Schwierig für mich war es, die Spannung zu halten, sodass die Story nicht langweilig wird.

Die Fantasie ist in der Lage, Dinge, die man nicht erlebt hat, einzuflechten. Spannung zu erzeugen, Gefahren heraufzubeschwören, die man – Gott sei Dank – nicht erlebt hat. Das macht einen Literaten aus.


Andi, 48 Jahre: „Passt schon, Oma!“

Meine erste und bisher letzte Veröffentlichung lag ein gutes Jahr zurück, als Diana zu Beginn der neuen Schreibwerkstatt einige Wettbewerbsthemen vorschlug. Schreiben über das Thema „München“ als Münchner (zugegeben, ich bin Münchner mit zur Hälfte zypriotischen Wurzeln)? Nichts schien näherzuliegen und doch zögerte ich. Nach kurzem „unzensiertem Freischreiben“, wie es Diana gern nennt, kamen die Gedanken in Fluss.

Ich erinnerte mich an ein Gespräch, das ich als Kind mit meiner Großmutter geführt hatte. Meine Oma vertrat die damals in Bayern weitverbreitete Ansicht, dass München die „heimliche“ Hauptstadt der BRD wäre. Für Bonn hätte man sich entschieden, weil es – wie sich meine Oma ausdrückte – „keine Vergangenheit“ gehabt hätte. Ich begann diesen Dialog in dem für meine Oma typischen, moderaten Münchner Dialekt. Dann versuchte ich, den Bogen von damals zur Gegenwart zu spannen, indem ich einige Eindrücke der AiWeiWeiAusstellung niederschrieb. Der chinesische Künstler und Regimekritiker hatte im „Haus der Kunst“, einem typischen Angeberbau aus der Nazizeit, gastiert und einige Wochen die Kellerräume bewohnt.

Nach dem ersten Kursabend folgte ausgiebige Internetrecherche zum ehemaligen „Haus der Deutschen Kunst“, zu Ai WeiWei und dem Thema „Entartete Kunst“. Somit hatten zwei Themen Kontur angenommen: der Dialog zwischen Oma Käthe und ihrem Enkel und Münchens Rolle in der Nazizeit, als die öffentliche Diskussion über die sogenannte „Entartete Kunst“ entfacht worden war. Außerdem interessierte mich der Aspekt, ob sich unsere Gesellschaft in Zeiten heillos überstrapazierter Staats und kommunaler Kassen erneut auf eine KostenNutzenBetrachtung von Kunst einlassen würde, was unweigerlich zu einer Ächtung „unwerter“ Kunst führen würde. Ich ließ die Gedanken schweifen.

Am zweiten Abend bestand Diana darauf, dass wir unsere Idee in einem einzigen Satz formulieren sollten: „Eine Großmutter und ihr pubertierender Enkel philosophieren über die Rolle der Kunst für die Gesellschaft und lernen sich darüber besser kennen.“

Nicht gerade sexy für einen literarischen Menüwettbewerb und auch schwer zu kochen, dachte ich. Aber die Figuren und der Plot hatten schon von mir Besitz ergriffen, sodass ich die Zielgruppenbetrachtung links liegen ließ. Im Laufe des Kurses schrieb ich sieben Fassungen, in denen ich meine Protagonisten Oma Käthe und Timo, ihren Enkel, immer besser kennenlernte. Das Feedback nach dem Vorlesen an den Werkstattabenden war sehr hilfreich, und auch am Textgespräch zu fremden Geschichten lernt man für die eigenen. Dabei schärften sich Handlung, Charaktere und Dialoge fortlaufend und wurden authentisch und lebendig.

In der Mitte des Schreibprozesses, der sich über sieben Wochen erstreckte, kam mir die Idee einer direkten Involvierung von Oma Käthe in die Themen Kunst und Nazizeit. Ich ließ ihren Vater als Mitglied der Kommission zur Beurteilung „Entarteter Kunst“ eine stattliche Zahl von Kunstwerken vor der Vernichtung retten und seine Tochter, meine harmlose Oma Käthe, diesen Schatz bergen und dadurch nach dem Krieg unverschämt wohlhabend werden, für den Preis eines unsauberen Geheimnisses. Im letzten Satz erfährt der Leser ein weiteres Geheimnis, das Oma Käthe jahrzehntelang für sich behalten hatte. Mein literarisches Produkt bestand am Ende also zu einem Teil aus Inspiration und mehreren Teilen Transpiration.

Obwohl meine Erwartungen für eine eigene Platzierung im Wettbewerb diesmal niedrig waren, freute ich mich natürlich umso mehr über das Feedback, in die engere Auswahl gekommen zu sein. Hoffnung auf mehr mache ich mir nun auch noch wegen der kürzlich versandten Mitteilung des Veranstalters, dass im Nachgang eventuell eine Anthologie bei Piper verlegt werden soll, in der die Auswahl dann über die Finalisten hinausginge. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Werner, 65 Jahre, FINALIST:
„Sie mögen sich, aber nicht an jedem Tag“

Ich liebe einsame Spaziergänge, an geraden Tagen in Richtung Süden, an ungeraden in Richtung Norden – oder umgekehrt. Auf Spaziergängen kann man seinen Fantasien freien Lauf lassen, braucht sie nicht knebeln.

Nach Süden führt der Kreuzweg, im Winkel blickt der Gekreuzigte herab. Wir grüßen uns. Manchmal reden wir miteinander. Letztlich frug ich ihn, ob er den Urknall gehört habe.

Tage später ein anderes Thema: Wohin mit meinen Fantasien? – Wieder keine Antwort. Ich entschuldige mich, dass ich so früh seine Kirche verlassen habe – wolle damit aber nicht mehr kokettieren. Ich wende mich ab – Schritte später höre ich: Bringe sie zu Papier – ohne Schreiben gäbe es keine Schrift, keine Bibel,meint er. Ich winke ab, ich lese keine Romane.

Heute, ein ungerader Tag: Ich marschiere zum Stemmerhof. Eine Vernissage ist angekündigt. Es dämmert. Die Vernissage läuft: Tänzerinnen schmiegen sich an Skulpturen. Ich schlendre herum, lese „Literaturkeller“, finde ein Faltblatt mit Schreibkursangeboten der Wortwerkstatt „SCHREIBundWEISE“.

Ich denke an den Gekreuzigten, ich melde mich zu einem Schreibkurs an. Und danach, weil mir der Kurs gut gefallen hat, zu einem Fortgeschrittenenkurs und danach, obwohl ich pausieren wollte, zu noch einem – es zog mich in den Keller.

Eine Aufgabe in diesem Kurs: eine Geschichte für den Münchner Menü-Wettbewerb und Federwelt-Jurypreis zum Thema München erarbeiten. Für mich Neuland, von anderen höre ich, sie hätten schon öfters an Wettbewerben teilgenommen.

Wieder auf dem Kreuzweg, am Kreuz: Höre, warst du ein Rabbi? Er nickt. – Ich darf ihn Rabbi nennen.

Höre Rabbi, dürfen Nachgeborene der Opfer Nachgeborene der Täter maßregeln?

Der Rabbi: Das soll dein Thema werden!

Ich mache es zu meinem Thema, stecke die Grenzen ab: keine beißende Sozialkritik, keine Neidgeschichten; menschliche Facetten mit Augenzwinkern aufzeigen. Vielleicht gelingen mir Szenen ähnlich der mit den Köpenicker Zuchthäuslern, die unter vergitterten Kirchenfenstern singen: Bis hierhin hast du mich geführt in deiner großen Güte – oder der über Schwejks Rauswurf aus dem Irrenhaus nach dem ersten Intelligenztest.

Wir schreiben, ich schreibe. Im Literaturkeller werden Entwürfe vorgelesen. Ich höre zu, manches gefällt mir, manches nicht. Ich trage meinen unreifen Text vor, werde kritisiert. Abends denke ich an P. Härtling: nie Unvollständiges preisgeben. Aber die Kritik spornt mich an. Die Zeit drängt: Mein Entwurf geht an Diana Hillebrand. Ihr Kommentar: Zu viele Szenen stehen allein im Raum! Sie rät mir: Stelle dir vor, du erzählst die Geschichte einem Freund. Ich erzähle sie einem anonymen Gegenüber, merke bald, wo Übergänge fehlen, baue Brücken ein, schleife an den Texten.

Der Abgabetermin ist da, ich liefere die Geschichte ab. holleschek@hs-veranstaltungen.de antwortet: Sie entspräche den formalen Anforderungen – die Beiträge gehen an die Jury. Bitte Warten! Tage vergehen, ich warte, wir warten. Ich frage herum. B., trocken, sie wäre rausgeflogen – mit Glückwunsch, damit sie nicht gleich aus dem Fenster spränge. Ich schaue raus: unten liegt noch keiner.

Und dann: Wir möchten Ihnen gratulieren. Sie haben die Runde der letzten 18 erreicht. Später: Sie haben die letzte Hürde geschafft und sind aus über 500 Texten unter die letzten 4 gekommen. Sie werden gelesen. Otger Holleschek.

Vier Geschichten werden im Postpalast gelesen, meine auch.

Im Postpalast: Weiß gedeckte Tische, Traumschiff-Kellner, Namensschilder weisen uns die Plätze. Vier Geschichten, vier Gänge. Manuel Reheis vom Restaurant Broeding kommentiert jeden Gang, eine Musikeinlage der eigenwilligen Kofelgschroa – Gang und Musikeinlage sollen zur Geschichte passen. Danach wird die Geschichte gelesen.

Dann der zweite Gang, der dritte Gang und der vierte.

Im vierten Gang werde ich gelesen. Ich bin begeistert, ich erkenne meine Geschichte kaum wieder: andere Töne, andere Farben. Der Vorleser Johannes Steck hat mich benebelt. Die Abstimmung des Publikums nehme ich nur halb wahr.

Wir, die letzten vier, werden aufs Podium gerufen. Oben staune ich: Was machst du hier unter den Literaten? Ich habe in meinem Leben nur sechs Romane gekauft; nur einen las ich zu Ende.

Was ich in die Fernsehkamera gesprochen habe, weiß ich nicht mehr. Wieder unten am Platz spricht mich eine Jurymitglied an: Ich hätte Ihnen gern den Jurypreis gegeben. Machen Sie weiter, geben Sie nicht auf!

Diana Hillebrand, www.SCHREIBundWEISE.de,
sowie: Martina Roitner, Bhavya Heubisch, Hannelore Nar,
Andi Zachariades und Werner Duck

Werner Duck, Foto: Florian Freund
Werner Duck, Foto: Florian Freund

Die Band 'Kofelgschroa' aus Oberammergau mit dem Vorleser Johannes Steck

Die Band: Kofelgschroa aus Oberammergau
Vorleser: Johannes Steck
Foto: Florian Freund

Und so lautete die Ausschreibung:

13. Menü-Wettbewerb mit Federwelt-Jurypreis: Geschichten zum Thema „München“
 

Liebe Gäste, liebe Autorinnen und Autoren,

diesmal nehmen wir eine Stadt als Sujet: München. Und wieder sehen wir das Thema sehr frei und freuen uns auf alles, was euch zu München einfällt: Was für Liebesgeschichten können hier passieren, welche nur hier, wen kann man hassen? Was ist schön, was ist schlimm? Wir freuen uns auf Ausführungen übers Schnösel-München genauso wie über Dramen und Komödien aus dem Hasenbergl. Vielleicht erfahren wir endlich, warum München schlechter ist als Berlin – oder besser. Schickt uns Junkiegeschichten, eine Familiensaga oder was unter den Tischen am Debütantinnenball im Bayrischen Hof passiert. Erzählt uns vom Gasteig, vom P1, aus dem Schellingsalon oder dem Cafe King. Wir werden ein Buch draus machen, eine Bestandsaufnahme von München am Anfang des 21. Jahrhunderts.

Es werden insgesamt 1.000 Euro Preisgelder vergeben (750 Euro Publikumspreis, 250 Euro Federwelt-Jurypreis), viele der Geschichten werden in unserem Buch veröffentlicht und im RedBulletin (Auflage 1,6 Mio).

Der Sieger/die Siegerin des Publikumspreises bekommt zusätzlich ein Drei-Nächte-Wochenende in einem Tophotel spendiert. Die Siegergeschichte des Federwelt-Jurypreises wird in der Federwelt – Zeitschrift für Autorinnen und Autoren veröffentlicht. Alle Autorinnen und Autoren aus der Endrunde werden von unserem Sponsor Carpe diem zur Menülesung am 20.3.2010 nach München eingeladen.

Die Texte sollen bis 1. März 2010 elektronisch an lesung@hs-veranstaltungen.de eingesandt werden. Unsere Jury wählt aus den Geschichten vier aus. Am Samstag, den 20. März 2010, ab 17:30 Uhr findet die Lesung in München statt – der Ort wird noch bekannt gegeben.

Jeder Text wird erst musikalisch (live) eingeführt, dann von einem Schauspieler gelesen, darauf von unserem Koch in einem Menügang interpretiert. Vier solcher Gänge gibt es. Das Publikum wählt zum Schluss den Sieger/die Siegerin aus, der/die das Preisgeld gewinnt und weitere Siegprämien.

Als BewerberIn um den Preis erklärt ihr euch mit der Einsendung bereit, dass euer Text bei Auswahl vorgetragen und in einer Anthologie zur Lesung, im RedBulletin bzw. in der Federwelt sowie auf unserer Homepage (www.hs-veranstaltungen.de, Menüpunkt Lesungen) veröffentlicht wird. Die Texte müssen zwischen 11.000 und 13.000 Zeichen lang sein (ohne Leerzeichen) und sollen als Word-Dokument bei uns eingereicht werden.

Einsendeschluss ist der 1. März 2010. Pro TeilnehmerIn kann nur ein Text eingereicht werden. Informationen über bisher stattgefundene Lesungen und die Veranstalter unter www.hs-veranstaltungen.de/lesungen.

Wir freuen uns auf euch und eure Geschichten.

Otger Holleschek und Matthias Schlick
 

Der Koch, Manuel Reheis vom Restaurant Broeding, Foto: Florian Freund

Der Koch, Manuel Reheis
vom Restaurant Broeding,
Foto: Florian Freund

Am Samstag, dem 20. März war es so weit: Die Jury der 13. Menülesung – Michael Krüger, Chef des Hanser Verlages, Amelie Fried („Die Vorleser“), Natalie Buchholz, Lektorin bei Random House, Literaturprofessor Manuel Braun und die Akademischen Rätinnen Dr. Kathrin Bleuler und Dr. Alexandra Tischl – hatte aus über 500 Geschichten vier ausgewählt, die im Münchner Postpalast vor Publikum gelesen wurden.

Den Publikumspreis, dotiert mit 750 Euro, erhielt Andreas Kurz für seine Geschichte „Grünwald“. Platz zwei belegte Roland Krause mit „Juttas Brust“. Werner Duck (siehe oben) eroberte mit „Wir mögen uns, aber nicht an jedem Tag!“ den vierten Platz. Mit dem Federwelt-Jurypreis, dotiert mit 250 Euro, wurde der Münchner Krimiautor Friedrich Ani ausgezeichnet.

Die ersten 18 Geschichten und jede Menge Fotos vom Abend finden Sie auf www.hs-veranstaltungen.de.

Hier nun die Gewinnergeschichte des Federwelt-Jurypreises von Friedrich Ani. Eine „nicht unbedingt jugendfreie Geschichte“, meinte die Süddeutsche Zeitung am Tag danach. Und gerade deshalb die ideale Lektüre für alle 10. Klassen? Urteilen Sie selbst!

Die Finalisten und der Veranstalter, Foto: Florian Freund

Die Finalisten (v.l.n.r.): Andreas Kurz (Gewinner des Menüwettbewerbs);
Roland Krause (in schwarzer Kleidung mit schwarzen Haaren, Finalist);
Friedrich Ani (Gewinner des Federwelt-Jurypreises); Werner Duck (Finalist);
Otger Holleschek (Veranstalter); Foto: Florian Freund

Cover der Federwelt Nr. 82

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in der
Federwelt — Zeitschrift für Autorinnen und Autoren —“ veröffentlicht.

PDF Auszug der Federwelt Nr. 82, Seite 38-44 PDF Datei anzeigen

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