veröffentlicht im August 2012
in der Fachzeitschrift für Autorinnen und Autoren „Federwelt“ Nr. 95

Undercover-Mission im Buchstabenfeld
Profitieren Profis von Schreibkursen?

Die Bestsellerautorin Shirley Michaela Seul als verdeckte Ermittlerin

Oft habe ich gehört und gelesen, dass man heutzutage lebenslänglich lernen müsse. Gilt das auch für SchriftstellerInnen? Oder reicht bei uns das pure, nackte Leben? Werden wir quasi automatisch immer besser und womöglich nebenbei auch noch weise? Um das herauszufinden, beschloss ich, einen Schreibkurs zu besuchen. Meinen ersten. Trotz sechzig veröffentlichter Bücher in diversen Genres, unter eigenem Namen, Pseudonymen und häufig als Ghostwriterin.

Im Internet schaute ich mir einige Dozentinnen an und stieß auf Diana Hillebrand, die mir aus der Federwelt bekannt war. Ihre Kurse finden sogar in der Nähe meines Wohnortes statt. Ich meldete mich an und outete mich als Profi.

Diana hatte Bedenken: „Vielleicht fühlen sich die TeilnehmerInnen unter Druck gesetzt mit einer Bestsellerautorin in der Runde.“

„Dann eben undercover“, bot ich an. Da ich als Ghostwriterin oft unsichtbar bin, stellte das kein Problem für mich dar.

„Und am Ende des Kurses lüften wir das Geheimnis“, freute Diana sich.

Ich war gespannt, was mich erwartete. Es ging für mich in dem Kurs wahrscheinlich nicht darum, hoch literarisch zu schreiben, nein: Ich musste meinen Stil den anderen TeilnehmerInnen anpassen. Gibt es eine bessere Schreibübung?

„Wie? Du besuchst einen Schreibkurs, um schlechter zu schreiben?“, wurde ich gefragt.

„Quatsch, schlechter!“, widersprach ich. „Anders! Die Herausforderung liegt in der Geschmeidigkeit, mit der ich im Kurs mit Sprache, Themen, Stilmitteln umgehen werde. Das ist eine super Übung!“

An einem Samstag im Frühling ist es endlich so weit. Mit einem Dutzend MitschreiberInnen, manche davon regelmäßige Teilnehmer an Diana Hillebrands Kursen, treffe ich am Vormittag in den sehr schönen Räumlichkeiten des Stemmerhofs ein, dem ältesten Bauernhof Münchens, einem Kulturzentrum mit Restaurantbetrieb.

Diana Hillebrand begrüßt uns herzlich „Fühlt euch als meine Gäste. Ihr könnt, bis auf Alkohol, bestellen, was ihr wollt. Wenn ihr später den Kurs blöd findet, war doch nicht alles blöd. Wenigstens die Verpflegung hat gestimmt.“

Ich nehme mir ein ofenfrisch duftendes Croissant vom Silbertablett. Was soll jetzt noch schiefgehen!

Diana Hillebrands Wortwerkstatt

Seit 2006 leitet und moderiert Diana Hillebrand die Wortwerkstatt SCHREIBundWEISE und einen monatlichen Literaturtreff in München. Darüber hinaus bietet sie den TeilnehmerInnen an ihren Kursen ein literarisches Netzwerk. Diana Hillebrand will, dass wir uns austauschen, will uns Schreibbegeisterten zwischen 25 und 65 in dieser Runde eine Plattform bieten. Weil sie, so sagt sie, das Schreiben liebt. Genau das gibt sie weiter. Schreiben ist nicht nur ein Beruf. Schreiben ist Lust und Lebensfreude, Qual und Sehnsucht, Erfüllung und Angst, das ganze Leben eben. Hier im Stemmerhof ist es besonders schön, an rustikalen Holztischen. Alles passt zusammen, sogar die Bleistifte; dick und blau liegen sie gut in der Hand: Schreiblernstifte.

Wer mag, kann sich in den Garten zurückziehen. Lustwandeln und Selbstgespräche führen oder sich mit anderen beraten … auf der Suche nach dem ersten Satz, nach einer Geschichte, dem Plot. Ich habe den Laptop dabei, klar. Bei meinem Schreibpensum würde ich manuell auf der Strecke bleiben. Jetzt klappe ich den Computer zu und versuche es. … Wie geschmeidig mein blauer Schreiblernstift auf dem Papier flutscht. Schreiben ist Sinnlichkeit. Wie konnte ich das nur vergessen! Und wann ist es geschehen … auf dem Weg von der jungen Autorin voller Hoffnung zum Profi …

Die Gier und die Guten

Ich erinnere mich an meine Empörung als junge Autorin mit gerade mal zwei, drei Veröffentlichungen in der Mappe, als mir ein älterer Kollege riet, ich solle bei jedem Auftrag als Erstes nach dem Honorar fragen. Ha! Welcher wahrhafte Künstler giert nach Geld! Ich war Schriftstellerin. Ich gehörte zu den Guten. Ich schrieb, weil ich musste. Da interessierte mich doch kein Honorar!

Heute schreibe ich wirklich, weil ich muss. Nämlich Geld verdienen. Und finde mich nun plötzlich in einer Runde von Menschen, die schreiben, weil sie wollen oder auch müssen, aber anders, weil sie es gern möchten, aber oft nicht können. Der innere Schweinehund. Die Zeit fehlt. Schreiben als Hobby? Ja, was denn sonst! Fängt nicht vieles Schöne so an, als Hobby, und dann will man nicht mehr davon lassen? Wenn man Glück hat, klappt es später und man macht das Hobby zum Beruf. … oder wenn man Pech hat? Was bleibt von der Freude am Hobby, sobald es Mittel zum Zweck, zum Geldverdienen ist? Wenn man nicht mehr möchte, sondern muss. Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf. Obwohl ich nicht nur schreiben muss. Ich möchte noch immer und finde, es ist eine der schönsten Beschäftigungen, mit der man seine Zeit auf Erden verbringen kann. Jetzt schon hat sich der Kurs für mich gelohnt und ich habe etwas gelernt: Dass ich mich hin und wieder an die Anfänge erinnern möchte und die Freude, als es noch um „nichts“ ging. Sondern um … alles!

Warmschreibübungen

Diana Hillebrand rät den KursteilnehmerInnen, regelmäßig zu schreiben. Einmal in der Woche oder drei Seiten in der Woche, alle zwei Wochen zwei Seiten, egal, welchen Rhythmus man wählt. Wichtig sei es, dranzubleiben. Nun gut, das wird einem in jedem Kurs gesagt. Dranbleiben. Die Meister fallen nun mal nicht vom Himmel, egal, ob Schreinerin oder Schriftsteller.

Wir beginnen mit dem schönsten Moment beim Schreiben, sagt Diana und teilt kleine Überraschungskisten aus, in denen sich allerlei Gegenstände befinden. Wir sollen einen auswählen und losschreiben. Ohne Thema, ohne Buchvertrag und lästiges Lektorat. Allein einen Abgabetermin gibt es: in zwanzig Minuten.

Ich schaue auf die kleine weiße, schneckenförmige Muschel in meiner Hand. Glücksgefühle durchfluten mich. Schreiben einfach so. Bin ich wahnsinnig? Ja! Meine Finger flitzen über die Tasten, ich tippe mich in die Vergangenheit, als ich nie ohne Kladde unterwegs war, immer auf der Jagd nach Metaphern. Als es diesen großen Traum in meinem Leben gab: Ich will Schriftstellerin werden.

Sechzig Bücher später kann ich wohl behaupten: Ich bin es. Aber bin ich noch immer die von damals? Was ist dazugekommen … und was auf der Strecke geblieben?

Manche im Kurs haben bereits einige Veröffentlichungen vorzuweisen oder gar einen kleinen Literaturpreis gewonnen. Andere wollen das gar nicht. Sie schreiben … einfach so. Aus Lust, Freude, Interesse. Einfach so. Ein klein bisschen beneide ich sie.

Diana Hillebrand empfiehlt Warmschreibübungen, um die Angst vor dem weißen Papier zu bannen. Und sie fordert uns auf, Inspirationen nicht aus dem Internet zu holen, sondern auf den eigenen Beinen an die Orte zu gehen, über die wir schreiben und dort zu sehen, riechen, hören, fühlen, schmecken. Meine alte Kladde rückt mir immer näher. Heute Abend, das schwör ich mir, krame ich sie heraus. Und dann besaufe ich mich an Metaphern. Hoffentlich stoßen mir die nicht sauer auf nach all den Jahren und münden morgen in Kopfweh!

Kurzgeschichten für Wettbewerbe

Doch jetzt ist erst einmal Theorie angesagt. Wir lernen, was eine Kurzgeschichte kennzeichnet. Dazu muss man keinen Schreibkurs besuchen, das kann man in Büchern und im Internet erfahren. Doch man schmeckt und hört und sieht und riecht und fühlt es nicht. So wie im Kurs, wo die TeilnehmerInnen, mehr Frauen als Männer, zwischen Zögern und Zuversicht schwanken. Die Erwartungen sind hoch. Diana lockert die Stimmung mit Zitaten auf: „Eine Kurzgeschichte ist eine Geschichte, an der man sehr lange arbeiten muss, bis sie kurz ist“, Vicente Aleixandre. Den Ehrgeizigen empfiehlt Diana mit Anton Tschechow: „Je mehr du kürzest, desto häufiger wirst du gedruckt.“

Und dann wird es ernst. Diana liest die Ausschreibungen zu fünf Literaturpreisen vor. Von der dreiseitigen bis zur zwanzigseitigen Kurzgeschichte reicht die Auswahl. Wir sollen uns für ein Thema entscheiden oder ein eigenes wählen. Dazu können wir im Garten des Stemmerhofes spazierengehen und uns austauschen. Untereinander oder mit Diana, die zwischendurch immer wieder kurze Einzelcoachings gibt. Danach wird es richtig schwierig. Auch für mich. Ich hasse es. Aber das Herunterbrechen eines Stoffs lohnt sich. Diana fordert uns auf, unsere Geschichten in drei Sätzen zu erzählen. Worum es geht, was passiert, wie es endet. Die Methode ist besonders im Drehbuchbereich beliebt und gefürchtet. Manche behaupten, ein Stoff, der sich nicht dergestalt verdichten lasse, sei kein guter Stoff.

Das pure Glück

Mehrere leckere Gerichte stehen mittags zur Auswahl. Wir sitzen im Freien, und ich bin froh, dass mich niemand fragt, was ich eigentlich so mache und warum ich da bin. Als Werbetexterin habe ich mich in der Vorstellungsrunde bezeichnet, das ist nicht richtig gelogen, früher habe ich das oft, heute selten gemacht. Meine Tarnung soll ja noch drei Stunden halten.

Am Nachmittag erfahren wir, wie wir Figuren erschaffen, und Diana teilt einige hilfreiche Fragebögen aus, anhand derer wir überprüfen können, ob die Figuren der Geschichten, die wir schreiben wollen, kongruent und interessant sind. Einige TeilnehmerInnen lesen ihre Charakterdarstellungen vor. Das sind schon richtig lebendige Leute, und oft sind die Konflikte bereits angelegt.

Am nächsten Tag soll es dann schwerpunktmäßig ans Schreiben gehen. „Einige der Teilnehmer“, erzählt sie mir, „fangen bestimmt noch heute Abend zu schreiben an, weil sie so motiviert sind.“

Diese Motivation ist sicherlich auch ein Grund, warum die Schreibkurse von Diana meist ausgebucht sind. Auch auf mich springt der Funke über. Auf der Heimfahrt nehme ich mir vor, etwas zu schreiben, was kein Verlag von mir erwartet. Ich werde nicht den Artikel für die Federwelt über den Schreibkurs verfassen und auch keine Druckfahne korrigieren und mich nicht um das Konzept meines nächsten Buches kümmern. Ich lasse die Sau raus, und was ich schreibe, zeig’ ich keinem. Nur ich und die Buchstaben. So wie früher. Das pure Glück.

Enttarnt!

Der Sonntag verläuft ruhiger als der Samstag, es wird viel geschrieben und vorgelesen und konstruktiv besprochen. Die inspirierende Atmosphäre gefällt mir. Es gibt wenig Theorie, hierbei steht der Anfang im Vordergrund. Diana liest eine Reihe von ersten Sätzen aus verschiedenen Romanen vor. Zum Schluss sogar den Anfang meines Kriminalromans Alle Vögel fliegen hoch: „Die Leiche traf mich nicht unvorbereitet. Ich hatte mit ihr gerechnet. Schon seit Jahren, genauer gesagt seit drei Jahren. Wer einen Hund hält, muss mit einer Leiche rechnen.“

Die Runde lacht. Ich freue mich. Höchste Zeit, mich zu outen!

Niemand nimmt mir meinen Undercover-Einsatz krumm, im Gegenteil. Einhellig sind die TeilnehmerInnen der Meinung, so wäre es besser gewesen, um sie nicht zu verunsichern.

Ich beantworte einige Fragen zur hauptberuflichen Schriftstellerei und frage dann zurück: „Und warum schreibt ihr?“ Diana macht gleich eine Schreibübung daraus und jetzt kommen einige meiner MitschreiberInnen zu Wort:

Hannelore:

Ich will mit dem Schreiben mein Hirn entlasten. Ich habe das Gefühl, mit jeder erlebten oder fantasierten Geschichte, die ich aufschreibe, wird mein Kopf leichter.

Matthias:

Ich liebe die Sprache. Die deutsche Sprache: So viel ist machbar, so viele wunderbare Wendungen, Wörter, Fälle und Zeiten. Sicher, auch andere Sprachen sind schön, andersschön. Das Deutsche ist meine Heimat, die Sprache meiner Tage, meiner Nächte, meiner Träume.

Gedanken werden durchs Schreiben Wirklichkeit. Führe ich Selbstgespräche, habe ich einen Tick. Schreib ich’s auf, bin ich Autor. So einfach. Einfach so.

Schreiben, was wäre wenn. Zu schreiben, was vorstellbar ist und unvorstellbar. Höchste Höhen, tiefste Schlünde, abartigste Artigkeiten, wildeste Freiheit. Alles trägt das Papier.

Eine wunderbare Sprache als fruchtbarer Grund, eine Idee als Keim, ihre Umsetzung als Hege. Daraus sprießt alles: Orchideen, Eichen, Morcheln.

Klaus:

Stahl, Beton, Kraftwerke, Sport- und Messehallen. Dieser „Männerberuf“ beanspruchte vorwiegend die linke Gehirnhälfte. Die Rechte kam lange Berufsjahre hindurch nur in der spärlichen Freizeit zum Einsatz. Beim Lesen spannender Bücher oder wunderbar konstruierter Gedichte. Die sprechen mich besonders an. So versuchte ich mich häufig darin, für Richtfeste und Feiern im Familien- und Freundeskreis Reime zu verfassen. Nach durchweg positiven Rückmeldungen verspüre ich Lust, die Liebe zu Wörtern in die Gestaltung mit Worten zu erheben und dieses Hobby weiter auszubauen.

Ursula:

Warum ich schreibe? Warum atme, esse und schlafe ich? Es ist eine Notwendigkeit. Es geht nicht ohne. Seit ich denken kann, ist mein Leben eng mit Buchstaben verwoben. Als Kind habe ich Bücher verschlungen, habe in Parallelwelten gelebt, habe die zahlreichen Heldinnen und Helden dieser Geschichten bei ihren Abenteuern begleitet. Ich begann früh, Tagebuch zu schreiben, manchmal schon nicht als ich selbst, sondern als eine Person, die ich gerne gewesen wäre. Wenn ich heute unterwegs bin, fällt mein Blick auf einen zurückgelassenen Schuh am Straßenrand und eine Geschichte entsteht in meinem Kopf. Ich sitze in der S-Bahn, schaue in die uralten Augen des Kindes auf dem Schoß der Frau gegenüber, und Geschichtensplitter explodieren in meinem Kopf. Irgendwann ist das Gefühl, voll von Geschichten und Ideen zu sein, so übermächtig, dass es nicht mehr anders geht. Ich muss es aufschreiben.

Cover der Federwelt Nr. 95

Dieser Artikel wurde im August 2012 in der
Federwelt — Zeitschrift für Autorinnen und Autoren —“ veröffentlicht.

PDF Auszug der Federwelt Nr. 95, Seite 32-35 PDF Datei anzeigen

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